Aserbaidschan – Land des Feuers

Mit Aserbaidschan verbindet der Durchschnittsdeutsche nicht viel. Vage wird Erdöl assoziiert, Berg-Karabach, der Konflikt mit Armenien. Wer mehr weiß, lokalisiert Aserbaidschan im Kaukasus und erinnert sich an die frühere Zugehörigkeit des Landes zur Sowjetunion. Eine genaue geographische Einordnung fällt allerdings meist schwer. Politisch Interessierte mögen die Parlamentswahlen vom November 2005 in Erinnerung haben (und die in diesem Zusammenhang vor allem in der ausländischen Presse herbeigeschriebene Hoffnung auf eine orangene oder Rosenrevolution á la Ukraine oder Georgien), oder die Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2003, als Ilham Aliyev das Präsidentenamt, in dem er 2008 bestätigt wurde, von seinem Vater Heydar „erbte“. Zumeist nimmt man in Deutschland erstaunt zur Kenntnis, dass Baku nur viereinhalb Flugstunden von Frankfurt a. M. entfernt liegt, also viel näher als das ungleich bekanntere Bangkok, mit dem Baku gelegentlich akustisch verwechselt wird. Dass dieses ferne und fast unbekannte Aserbaidschan in geographischer, politischer, gar kultureller Hinsicht Europa zugeordnet werden könnte, scheint – von Europa aus betrachtet – ziemlich abwegig zu sein. Von Aserbaidschan aus gesehen, stellen sich die Dinge jedoch anders dar: Europa ist ganz nah. Nicht wenige junge aserbaidschanische Akademikerinnen und Akademiker verstehen sich als (zukünftige) Europäer und sehen in Europa ihre Hoffnung: Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung, auf die Lösung des Karabach-Konflikts, auf Demokratie, auf ein besseres Leben.*)

Das war 1989, als ich über das DDR-Reisebüro nach Aserbaidschan kam, nicht viel anders. Auch ich bin erwartungsvoll, hauptsächlich wegen der Exotik dieses Landes dorthin gereist. Es war immerhin das erste Land mit islamischer Tradition das ich nun kennenlernen konnte.
Was mir aber als erstes auffiel war die vorherrschende sandfarbene Ödnis der dortigen Landschaft, ein bereits im April ausgetrocknete Flußtal, das aus den Höhen des Kaukasus herunter sickerte. Grüne, doch selbst dann bereits müd ins gelbliche schimmernde Landschaften konnte ich auf dem Weg von der georgischen Grenze bis Baku nur als vereinzelte Oasen wahrnehmen. Das Land war eine einzige Steppe mit grünen Tupfern. Halt! – das stimmt nicht ganz. Auf der Fahrt von Schemacha nach Baku sah ich eine riesige rotleuchtende, mit wildem, blühendem Mohn bewachsene Fläche in einer hügeligen, öden Steppenlandschaft.
Scheki fiel mir als ein sehr ordentliches, schmuckes kleines Städtchen auf, besonders da ich aus den meist göttlich schlamperten Städten Georgiens kam. Alle Grundstücke waren von starken Mauern umfasst, offensichtlich war die Charakterisierung der Aseris als die Preußen des Kaukasus so daneben gar nicht. Aber offensichtlich auch bedingt durch die vielen Kriege und Überfälle, die die kleinen Khanate untereinander und mit Persien führten.
Baku jedoch sah man an, dass es eine Boomtown des 19. Jahrhunderts, bedingt durch den Erdölreichtum, ist. Das betraf allerdings nur die einstige Vorstadt der heutigen, damals (1989) noch in Verfall und zögerlicher Restaurierung befindlichen Altstadt. Diese Stadt, nunmehr das eigentliche Baku geworden, glänzte mit prächtigen Palästen und Verwaltungsgebäuden der durch das Erdöl reich gewordenen Fabrikanten und Händler.
Hier in Baku wurde 1908 die erste „islamische‟ Oper Leyli va Madschnun (von Üzeyir Hacıbəyov) aufgeführt. Durch einen glücklichen Zufall kannte ich diese Oper live erleben: Wir kamen während eines Abendspaziergangs mit einer Opernbesucherin – es war gerade Pause nach dem ersten Akt der Oper – ins Gespräch. Sie machte uns beide neugierig auf diese Oper und bot uns an, uns in das Parkett des Opernhauses zu schleusen, es gäbe genügend freie Plätze. Erfreut nahmen wir diese für – uns beide – einmalige Gelegenheit wahr und folgten ihr. Und nun konnten wir Alim Qasimov die Rolle des Madschnun singen hören, zumindest ich hatte derlei Gesang, exotisch, koloraturenreich und über lange Passagen in der Falsettstimme dargeboten, noch nie gehört. Wir waren hin und weg …

Anderntags kaufte ich mir alle verfügbaren Schallplatten (es waren nur drei) mit Alim Gasimov – die deutlich in der Summe billiger waren als die üblichen 12 Ostmark pro Klassik-LP in der DDR – die sich nun der Interessierte in meinem anderen Blog komplett anhören und dazu den von mir übersetzten Covertext zum besseren Verständnis studieren kann.

So lernt man über lustvolles nächtliches Rumstromern in wildfremden Städten interessante Leute kennen …

Die Altstadt bot, auch ohne die für den „Zoni“ in der Sowjetunion selbst 1989 noch obligate Reisegruppe, viel marode Historie zum berückenden Bestaunen. Auf der Halbinsel Apscheron glänzten schwarz und stanken übel überall Erdöllachen vor sich hin, dazwischen sah man gewaltige Verteidigungstürme und ein Tempel der zoroastrischen Feueranbeter – interessant und lehrreich immerhin. Gobustan mit seinen Felszeichnungen aus der Steinzeit sollte man auch nicht auslassen; wo sonst kann man das schon im Freien, in dieser großem Menge und im Original bestaunen. Wer mehr über die Geschichte Aserbaidschans, über Baku, Apscheron, Gobustan, Schemacha und Scheki wissen will, kann in meinem sozialistischen Reiseführer Baku völlig hemmungslos stöbern.

Über die Zustände im Aserbaidschan des 19. Jahrhunderts wird in der Erzählung Hadschi Murat von Leo Tolstoi sehr anschaulich berichtet.
Über neuere Zustände kann man hier nachlesen:

Ein Bildergalerie meiner von mir digitalisierten Dias aus 1989:

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*) aus dem Beitrag „Ich fühle mich als Teil von EuropaEuropa als Fremd- und Vorbild für aserbaidschanische Studierende von U. Mitter, erschienen im Buch: Benjamin Jokisch: Fremde, Feinde und Kurioses: Innen- und Aussenansichten unseres muslimischen Nachbarn (Studien Zur Geschichte Und Kultur Des Islamischen Orients, 24), Herausgegeben von Lawrence I.  Conrad,Neue Folge Band 24, 2009

 

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