Werchnije Mandrogi
Tag Siebzehn: Flussfahrt auf dem Swir
Unser Spruch des Tages:
Die Erinnerung ist das einzige Paradies
aus dem wir nicht vertrieben werden können.
Der Swir (Свирь) verbindet auf einer Länge von 218 Kilometern den Onegasee mit dem Ladoga-See. Er überwindet dabei ein Gefälle von 28,5 Metern. Den Schiffern war der Fluss wegen der Untiefen, Stromschnellen, Felsblöcke und kilometerlangen seichten Abschnitte ein Greuel. Bis weit in das 20. Jahrhundert wurde getreidelt. Die hohe Fließgeschwindigkeit von bis zu 10 bis 12 Kilometern pro Stunde kam zwar den flussabwärts fahrenden Schiffen entgegen; flussaufwärts, also zum Onegasee, vervielfachte sich jedoch die für die Passage notwendige Zeit.
Der im 19. Jahrhundert zur Erleichterung der Verbindung zwischen Ostsee und Wolga errichtete Marien-Kanal bezog auch den Swir ein. Der Fluss wurde dazu an manchen Stellen vertieft, es entstanden Dämme und Schleusen, die die Schifffahrt zwar erleichterten, aber deren Probleme nicht lösten. Erst in den 1930er Jahren, mit dem Bau von zwei Staumauern und Schleusen, wurde der Fluss durchgängig schiffbar. Als der Marien-Kanal 1810 fertiggestellt war, passierten jährlich bis zu 4000 Schiffe den Ort. Hier wurden die Waren umgeladen, in Speichern und Hallen lagerten Getreide, Salz und andere Güter, die von und nach St. Petersburg gebracht wurden. 1936 begannen die Arbeiten zum Bau des Oberen-Swir-Staudammes bei Podporoschje. Während des Krieges wurde der Damm gesprengt und bis 1951 wieder errichtet. In der dortigen Schleuse werden die Schiffe in Richtung Ladoga-See um zehn Meter gesenkt. Podporosche liegt daher heute etwa sechs Kilometer vom Fluss entfernt auf einem Hügel.
Hinter Podporoschje überspannt eine Eisenbahnbrücke den Fluss, auf der die Züge zwischen St. Petersburg und Murmansk über Petrosawodsk verkehren. Hinter der nächsten Flussbiegung liegt auf einer Halbinsel am rechten Flussufer das Dorf Nikolskij. Seine Entstehung ist mit dem Wirken Peter des Großen verbunden. Der Zar brauchte für seine flussabwärts, in Lodejnoe Pole, gebauten Schiffe Ketten und Anker und ließ deshalb Schmiedemeister aus der Deutschen Vorstadt in Moskau hierher kommen. Das Dorf erhielt den Namen „Nemezkoje“ (Das Deutsche). Als es keinen Bedarf an Ankern und Ketten mehr gab, blieben von ihm nur der Name, der später auch verschwand, und einige Häuschen. In den 1730er Jahren entstand hier eine Werft, auf der bis 1957 Holzbarken gebaut wurden.
Auf diesem Abschnitt ders Swir legen die meisten Kreuzfahrtschiffe einen Halt in der Siedlung Oberes Mandrogi ein.
Nach dem Passieren der Schleuse von Podporoschje, was noch geschehen sein musste, bevor ich wach wurde, habe ich die ersten Bilder der Bildergalerie und das folgende Video aufgenommen.
Zur Begleitmusik habe ich hier etwas geschrieben: Sergej Rachmaninow: Prelude op. 23 Nr. 1 fis-moll
Mandrogi (Верхние Мандроги) ist ein ehemaliges Fischerdorf, das schon unter dem Zaren Peter dem Großen einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, noch bevor der Wolga-Ostsee-Kanal in Betrieb genommen wurde. Man gewann hier Eisen, baute Granit ab, und fertigte Schiffe und außerdem gewann es an Bedeutung als Handelsplatz.
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von 1941-1945 bestand das Dorf aus 29 Höfen mit mehr als 100 Einwohnern, die dem Volk des Wepsen angehörten. Wie die meisten anderen kleinen Orte am Fluss war es geflutet und während des Zweiten Weltkrieges vollends zerstört worden, denn am Ende des Krieges ging Werchnije Mandrogi in Flammen auf. Die Menschen waren nun gezwungen in andere Dörfer umzusiedeln. Von den früheren Gebäuden blieben nur die alten Fundamente erhalten, auf denen heute die Gebäude des Wodka-Museums, das Postamt und die Wohnhäuser stehen.
Die Siedlung ist heute kein Dorf im eigentlichen Sinne. Anfang der 1990er-Jahre kaufte ein reich gewordener Russe das Gebiet und die Überreste des ehemaligen Dorfes – das Gelände, das er kaufte, war lediglich eine mit Weidenbäumen bewachsene Waldwiese. Auf Initiative des Petersburgers Sergej Gutcajt investierten mehrere Unternehmer in den Bau eines Musterdorfes. Die besten Holzbaukünstler Russlands errichteten neue Häuser in der traditionellen russischen und karelischen Bauweise: Museen, Gästehäuser und Künstlerwerkstätten. Die Wiedergeburt des Dorfes begann dann 1996, als das frühere Fischerdorf nun als Museumsdorf wieder erweckt wurde.
1999 erhielt es als Werchnije Mandrogi (russisch/wepsisch etwa „Obere Stromschwelle“, auf karelisch bedeutet Mandrogi „Kiefern im Sumpf“. Sumpfig ist zwar die Gegend im Mittellauf der Swir, aber Kiefern gibt es nur noch wenige) wieder den offiziellen Status eines Dorfes. Heute ist es weithin bekanntes Touristenzentrum und ein Erholungsort, da es eine Anlegestelle für die die Kreuzfahrtschiffe, die auf dem Wolga-Don-Kanal unterwegs sind, besitzt.
Über 150 Einwohner wohnen nun ständig im Dorf. Außerdem kommen mehr als 200 Leute täglich zur Arbeit hierher. Im Dorf wurden seit 1996 bis 2008 11 Kinder geboren, es gibt einen Kindergarten und eine Schule hier.
Bunte Holzschlösschen im altrussischen Stil der Bojarenhäuser bestimmen das gesamte Dorfensemble, das in einen großen weitläufigen Erholungs- und Naturpark eingebettet ist. Die Gebäude dienen einerseits als Bauernhäuser, werden andererseits von Privatpersonen als Sommerwohnsitz benutzt. Außerdem beherbergen sie ein Postamt, zwei Hotels, Shops und Kunsthandwerksboutiquen. Hauptbesucher des Museumsdorfes sind die zahlreichen Touristen der Kreuzfahrtschiffe, die in den Sommermonaten zwischen Moskau und Petersburg verkehren und hier anlegen.
In Mandrogi wurden vier alte Werkstätten des Handwerks wiederaufgebaut, die aktiv betrieben und von den Touristen besichtigt werden können. Die Besucher können unter fachmännischer Anleitung auch selbst töpfern, schnitzen, weben, sticken oder Matrjoschkas bemalen. Als Anziehungspunkt hat sich das Wodka-Museum entwickelt, in welchem über 2800 Sorten Wodka zusammengetragen sind, es darf auch probiert werden.
Ein Sommerhaus im Stil eines Gutshauses mit eigenem Bootssteg befindet sich ganz im Osten der Insel. Hier verbrachte der russische Präsident Wladimir Putin zwischen 2001 und 2003 seine Sommermonate.
Auf dem Areal von Mandrogi wurde auch ein Minitierpark angelegt, in dem typische Tiere, die früher in russischen Dörfern gehalten wurden, zu sehen sind, wie Pferde, Kaninchen und Wachteln. Eine nostalgisch angelegte kleine Fähre verbindet die Insel mit einem Märchenwald, in dem neun Szenen aus der Glinkas Oper „Ruslan und Ljudmila“ (nach Puschkin) in überlebensgroßen Figuren dargestellt sind.
Im großen Handwerkerdorf machen die Volkskünstler nicht nur selbst Kunstwerke, sondern sie bringen auch jedem Interessenten die nicht leichten (und oft vergessenen) Fertigkeiten ihres Handwerks bei. Dort kann man lernen zu weben, zu sticken und Matrjoschkas auszumalen, zu töpfern oder sich in der Holzschnitzkunst versuchen.
Die Besonderheit der Gemeinschaft in „Werchnije Mandrogi“ ist die Verteilung des Gewinns aus dem Verkauf ihrer Volkskunst und der Touristenbetreuung. Das Geld fließt in Investitionen ins Museumsdorf, in die Gehälter der Angestellten und die Förderung der Gortschakow-Schule in der Stadt Pawlowsk.
Diese Schule wurde mit ähnlichen Anspruch wie das Zarskoselski Lyzeum in der Stadt Puschkin, in dem Delwig, Gortschakow, Puschkin lernten, gegründet. Die Kinder lernen unentgeltlich und bekommen ein Stipendium. Die Kinder werden von Erziehern rund um die Uhr betreut. Sie verbringen ihre Ferien im Ausland, wo sie die Geschichte der Erde und ihrer Völker kennen lernen. Für die Lehrer wurden auch Wohnungen gebaut.
Menschen die hier in Mandrogi arbeiten wollen, müssen imstande sein, im Kollektiv zu leben, zu arbeiten und ihre Kräfte für die Realisierung der Ideen, deren Urheber sie selbst sind, einzusetzen. Grundvoraussetzung ist die Beachtung von nur zwei für alle ohne Ausnahme geltende Regeln: im Dorf trinkt man nicht und stiehlt man nicht.
Obwohl Mandrogi oberflächlich geurteilt wie ein russischer Abklatsch von Disneyland wirkt, denke ich s doch, dass das Museums- aber auch Künstlerdorf Mandrogi anspruchsvollere künstlerische und soziale Ideale als Disneyland anstrebt – es verbindet auf unaufdringliche pragmatische Art Kunst und Kommerz.
Die Begleitmusik: Flowing River in the Sand – Vasily Evhimovich, Drehleier und Gesang.
Nach etwa einer Stunde Fahrt ab Mandrogi hätten wir die Anlagen des Unteren-Swir-Kraftwerkes sehen können, hätten wir wir nicht an der Tombola der Bar und des Souvenir-Shops teilgenommen. Der Bau dieses Kraftwekes, an dem bis zu 15 000 Arbeiter beteiligt waren, begann 1928 inmitten unberührter Natur; das Kraftwerk ging 1933 ans Netz. Es wurde während des Krieges stark beschädigt und unter anderem durch Kriegsgefangene bis 1948 wieder aufgebaut. Die Schleuse senkt die Schiffe um 12 Meter auf ein Niveau von knapp fünf Metern über dem Meeresspiegel. Der Ort Swirstroj (Swirbau) entstand als Siedlung für die beim Bau der hydrotechnischen Anlagen beschäftigten Arbeiter. Auch heute leben die Einwohner vornehmlich von den Wartungsarbeiten und vom Wald.
Nach der Tombola ab 15:30 Uhr konnte ich dann noch die scheinbar unberührte Natur der Deltamündung des Swir in den Ladogasee fotografieren. Der Swir führt nun durch ein Naturschutzgebiet, in dem im Herbst und Frühjahr mehr als eine Million Zugvögel auf ihrem Weg von der Ostsee zum Weißen Meer und umgekehrt rasten; unter ihnen sind so seltene Arten wie schwarze Störche, Wanderfalken, See- und Fischadler. Außerdem leben hier Birkhähne, Auerhähne und Haselhühner. In den Gewässern tummeln sich Hechte, Seelachse und Seeforellen, Renken, Zander sowie die sehr seltenen Ladoga-Robben; die Ostseelachse und -forellen kommen zum Laichen ins Delta. In den von Sümpfen durchzogenen Wäldern leben Braunbären, Elche, Luchse, Dachse und Hasen, ebenso wie Biber, Bisamratten, Marder und Eichhörnchen. Das Naturschutzgebiet erstreckt sich auf einer Fläche von knapp 50000 Hektar.
Kurz vor dem Kapitäns-Cocktail und vor dem dem Kapitäns-Abendessen ab ca 18 Uhr schwamm unser Schiff dann schon auf dem Ladogasee. Wir aber verbrachten den Abend bei einer unterhaltsamen Bunten Show, gestaltet von uns Passagieren, den Dolmetschern, der Reiseleitung und den Musikern.
Zur Begleitmusik habe ich hier etwas geschrieben: Sergej Rachmaninow: Prelude op. 23 Nr. 5 g-moll